Endlich fertiggestellt

Haus der Westgrenze

Haus der Westgrenze

Haus der Westgrenze zeigt Grenzerfahrungen

Es ist vollbracht: Französische Termiten und kranke Automechaniker haben zwar gebremst, aber jetzt ist das Eine-Million-Euro-Projekt der Gemeinde Selfkant vorzeigbar und wird mit Leben gefüllt. Eine neue Aufgabe für den Selfkanter Heimatverein, der seinen 75. Geburtstag feiert.

Mirja Ibsen, Redakteurin, 01.07.2024

Die lustigste Grenzerfahrung des Hauses der Westgrenze steckt in einem großen gelben Kasten mit Tür. Man muss ein schwarzes, gebogenes Ding in die Hand nehmen - und dann? Wozu ist die runde Scheibe mit den Löchern da? Ja, wer hätte das gedacht: Eine Telefonzelle kann Grenzerfahrungen auslösen, zumindest bei Menschen der Generation Smartphone, die noch niemals eine Telefonzelle, geschweige denn eine Wählscheibe gesehen haben. Die Frage „Wie geht das?“ von einer Fünftklässlerin, die die „eins“ wählen soll, ist dann nur logisch. Hier werden schließlich Fortschrittsgrenzen rückwärts überschritten.

Das Haus der Westgrenze ist ein Haus der Grenzerfahrungen. Ganz im Westen des Kreises Heinsberg, im westlichsten Zipfel Deutschlands, nur wenige hundert Meter von der niederländischen Grenze entfernt, gibt es jetzt ein Museum, das sich damit beschäftigt, was es bedeutet, mit, in und zwischen Grenzen zu leben - und das seit Jahrhunderten. Einen Schwerpunkt bildet die besondere Geschichte des Selfkants nach dem Zweiten Weltkrieg und die extreme Grenzverschiebung einmal in die Niederlande und zurück, aber das Fleckchen Erde auf dem die Alte Propstei, die Kirche St. Nikolaus und die Zehntscheune stehen, ist bereits über die Jahrhunderte hinweg ein Ort gewesen, an dem sich Grenzen verschoben, Herren und Nationalitäten gewechselt haben.



Davon erzählen die Urkunden, Scherben und Siegel, die der Heimatverein Selfkant jetzt übersichtlich in zwei Räumen der Alten Propstei ausstellt. Einen Historiker, der ihnen bei der geschichtlich korrekten Anordnung half, fanden sie hinter der Grenze in Augustus Janssen. Der Niederländer sortierte die Funde der Bandkeramiker in die Epoche der Steinzeit ein und regte an, die Sigelata-Scherben, die im frühen Teuderion (Tüddern) gefunden wurden, weiter untersuchen zu lassen. „Sie sind wertvoll“, sagt Janssen. Vielleicht könne man mehr herausfinden. „In dieser Ecke des Landes ist noch wenig historische Forschung betrieben worden.“

Für die gelbe Telefonzelle der Post ist Gemeinde-Architekt Dirk Goertz bis nach Bremen gefahren. Während die Agentur Bürger, Albrecht und Partner sich darum gekümmert hat, das optisch umgesetzt wurde, was sich die niederländische Studentin Charlotte Trautmann in ihrer Masterarbeit erdacht hat, waren Dirk Goertz und Guido Moll als Vertreter der Gemeinde dafür zuständig, dass es auch etwas zu sehen, zu öffnen und zum Sitzen gibt. Einen halben VW-Käfer zum Beispiel, lackiert in Sahara-Beige. Eine echte Herausforderung, wenn der Oldtimerverkäufer zwei Wochen vor Eröffnung plötzlich krank wird, der Wagen noch rostig und an einem Stück ist, und dann auch noch die Lackierkabine des Ersatzlackierers ihren Geist aufgibt, bevor noch die Kotflügel in der extra angemischten Farbe angesprüht sind. Aber das Team Goertz-Moll hat es geschafft, auch wenn die Beiden die Grenzen ihrer Arbeitszeit dabei öfter überschritten.

Der schwarze Pelzmantel, dessen Saum unten aufgetrennt ist, um ungesehen Kaffee und Tabak über die Grenze zu bringen, ist so authentisch, wie die niederländische Flagge, die in der Vitrine daneben ihren Platz gefunden hat. Genau dieses Stück Stoff hatte der Landdrost am 23. April 1949 vor dem Rathaus in Tüddern am Fahnenmast in die Höhe ziehen lassen, um den Beginn der niederländischen Verwaltung symbolisch zu markieren. Der edle Pelzmantel stammt von der im Schmuggel sehr kreativen Großmutter des Architekten, der es auch geschafft hat, Verpackungen der damals beliebten Schokolade und des Bohnenkaffees zu organisieren, um sie im Saum zu platzieren.

Eine Schmerzgrenze der Lokalpolitiker haben gewiss die Kosten des Museums überschritten, die in zahlreichen Sitzungen immer wieder beschließen mussten, das Projekt weiterzufinanzieren. Die anfängliche Kalkulation hatte sich im Laufe der Jahre fast verdoppelt. Grund dafür, dass die Kosten ständig stiegen, waren nicht nur französische Termiten, die sich durch das Jahrhunderte alte Gebälk nagten, und zweiadrige Leitungen, die komplett ersetzt werden mussten, sondern auch die allgemein gestiegenen Baukosten. Die Gesamtrechnung hatte am Ende sechs Stellen, der Förderbescheid des Landes in Höhe von 521.000 Euro war schnell aufgebraucht.

Eine Schere half schließlich dabei, die symbolische Grenze zwischen Publikum und Museum zu beseitigen. „Ein neuer Glanz, ein neues Haus, bald gehen hier viele Gäste ein und aus“, dichtete der Heimatvereinsvorsitzende Paul Beckers, bevor er mit Bürgermeister Reyans das rote Band durchschnitt. Der Heimatverein Selfkant hat passend zu seinem 75-jährigen Bestehen in der alten Propstei jetzt nicht nur wieder einen Treffpunkt und einen Ort, an dem er seine Schätze ausstellen kann, sondern er wird das Haus der Westgrenze auch für die Besucher öffnen. Da die genauen Zeiten noch nicht feststehen, können sich Interessenten vorerst an die Gemeinde Selfkant wenden.

Veröffentlichung in der Heinsberger Zeitung am 01.07.2024

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